Alles für alle, für uns nichts! In der Nacht auf den 1. Jänner 1994 kommen die Zapatistas bewaffnet aus ihren Wäldern. Sie besetzen Bezirkshauptstädte in Chiapas, dem südöstlichsten und ärmsten Bundesstaat von Mexiko.
Sie belagern Kasernen, dringen in Regierungsgebäude ein, öffnen staatliche Lebensmitteldepots und holen sich das Land zurück, dass ihnen vom Großgrundbesitz entrissen worden war. Sie sind mit Tüchern und Schimützen maskiert, mit Holzgewehren bewaffnet und erinnern daran, dass es überall widerständige Menschen gibt, die nicht bereit sind, selbstbestimmte Lebensformen gegen einen bescheidenen Anteil an Konsumgütern einzutauschen. Sie haben ihren Namen von Emiliano Zapata entlehnt, dem großen Rebellen der mexikanischen Revolution, und sie fordern heute wie damals Land und Freiheit. Sie beschlagnahmen Radios und schreiben ihre Forderungen an die Mauern der kolonialen Macht. Sie sagen, dass sie das Ergebnis von 500 Jahren Kampf und Widerstand sind, und stellen der neoliberalen Globalisierung ihr zorniges ¡Ya basta! Jetzt reichts! entgegen. Sie sind entschlossen, ihren alten und berechtigten Forderungen nach Würde und Anerkennung mit Worten und Waffen Nachdruck zu verleihen.
Der Eintritt der maskierten Aufständischen in die Weltgeschichte wurde nicht zuletzt deshalb wie eine willkommene Morgenröte begrüßt, weil nach dem Zusammenbruch der staatssozialistischen Länder kaum mehr Alternativen zum weltumspannenden Kapitalismus in Sicht waren. Die Ausbeutung von Mensch und Natur schien keine Grenzen mehr zu kennen, als die politischen Initiativen und poetischen Erklärungen der Zapatistas dem vermeintlichen Ende der Geschichte ein Ende setzten und der Hoffnung auf radikale Veränderung für eine bessere Welt Nachdruck verliehen. Aufgrund der großen Solidarität von Menschen aus aller Welt konnte der blutige Krieg, den das offizielle Mexiko gegen die Aufständischen entfesselte, nach wenigen Wochen gestoppt werden. Die Zapatistas riefen einen einseitigen Waffenstillstand aus, an den sie sich bis zum heutigen Tag halten, und laden die Zivilgesellschaft immer wieder in den Regenwald ein, um sich über die nächsten Schritte zu beraten.
Auf dem Weg zu Freiheit und Selbstbestimmung kommt den zapatistischen Frauen eine Schlüsselrolle zu, denn sie hatten dem Aufstand von allem Anfang an nur unter ganz konkreten Bedingungen zugestimmt: Ein striktes Alkohol- und Drogenverbot in allen rebellischen Gebieten, und eine revolutionäre Gesetzgebung, in der die Gleichberechtigung der Frauen in allen Lebensbereichen festgeschrieben wurde. Seither sind die Zapatistas unermüdlich dabei, der dreifachen Diskriminierung ein Ende zu setzen, von der Kommandantin Ester sagt, dass sie in der Marginalisierung als Frau, Besitzlose und Indigene besteht.
Beim Aufbau ihrer Autonomie sind die Zapatistas von staatlicher und paramilitärischer Gewalt bedroht. Noch immer werden Bewohner*innen der selbstverwalteten Gebiete überfallen, verhaftet und verschleppt oder gar hinterrücks ermordet. Die zapatistischen Gemeinden werden von Infrastrukturprojekten bedrängt, die sie vertreiben wollen, um die Profite zu vergrößern. Und sie sind – so wie die vielen anderen Indigenen Mexikos – mit einem Rassismus konfrontiert, die sie verstummen lassen und unsichtbar machen will.