Sehr geehrte Leser*innen, geschätzte Compañeras, Compañeros, Compañeroas, liebe Leute
Das ist der erste Newsletter von zapalotta.org, der ausführlich erklärt, was es mit dem Besuch der Zapatistas in Europa auf sich hat.
Wir freuen uns über rege Weiterempfehlung, um Sie/Euch ein- bis zweimal im Monat auf dem Laufenden zu halten.
Mit herzlichen Grüßen
die deutschsprachigen Zapalottas
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Erobern die Zapatistas jetzt Europa?
Die aufständischen Zapatistas aus dem Südosten Mexikos bereisen diesen Sommer und Herbst Europa, um all jenen zuzuhören, die hierzulande für ein gutes Leben für alle kämpfen. Um diesen freundlichen und erfreulichen Besuch gut vorzubereiten, hat sich ein Netzwerk von zivilgesellschaftlichen Aktivist*innen von links und von unten gebildet, und wir planen Meetings, Gespräche, Veranstaltungen, gemeinsame Wanderungen, Filmvorführungen, Ausstellungen und vieles mehr in ganz Österreich abzuhalten. Wir sind ein offenes Forum, in dem Mitarbeit, Ideen, Vorschläge und Beiträge herzlich willkommen sind. Links, Infos und Möglichkeiten, um sich einzubringen finden sich hier.
Die ersten Zapatistas sind schon über den Atlantik gesegelt
Die Vorhut der Aufständischen, das sogenannte Geschwader 421 ist Ende Juni im Hafen von Vigo in Spanien an Land gegangen. Die vier Frauen, zwei Männer und eine diverse Person der zapatistischen Befreiungsbewegung haben bei der Gelegenheit Europa einen neuen Namen gegeben, und es heißt nun Slumil K’ajxemk’op, was in Batz’il K’op, der Sprache der Maya-Tzeltal so viel bedeutet wie das Land der Unbeugsamen, Unverzagten und Unnachgiebigen. Diese sieben Zapatistas sind erst der Vorgeschmack auf eine viel, viel größere Gruppe von indigenen Aktivistinnen aus ganz Mexiko, die wir jeden Augenblick in Europa erwarten. Diese Delegation besteht zu 2/3 aus indigenen Frauen, denen kaum eine zuvor auch nur in einer der chiapanekischen Bezirkshauptstädte gewesen ist, geschweige denn in Mexiko-City. Die meisten gehören der rebellischen Bewegung der Zapatistas an, manche dem Indigenen Nationalkongress und wieder andere einer Gruppe von Umweltaktivistinnen zur Verteidigung der Erde. Sie kommen, um uns, 500 Jahre nachdem am 13. August 1521 die europäischen Invasoren die Stadt Tenochtitlán – das heutige Mexiko City – zerstört haben, einen freundlicheren Gegenbesuch abzustatten. Und wenn sie diesen Gegenbesuch auch manchmal als »Invasion« bezeichnen, so meinen sie das in keiner Weise zerstörerisch, denn sie sagen, dass sie eine Invasion des Widerstands, der Freude und der Solidarität im Sinn haben.
Warum sind eigentlich nicht schon alle da?
Die Gründe dafür, dass die mehr als 160 Zapatistas, die sich in Mexiko auf ihre Reise vorbereitet haben, nicht schon längst wie geplant in Paris landen konnten, haben auch mit den Gründen für ihren Aufstand um Würde und Anerkennung zu tun: Zuerst hat der institutionelle Rassismus der mexikanischen Behörden dazu geführt, dass nach einem halben Jahr Wartezeit noch immer nicht alle beantragten Reisepässe ausgestellt wurden. Und jetzt sorgt die gesundheitspolizeiliche Diskriminierung der Europäischen Union dafür, dass diejenigen, die ihre Pässe endlich bekommen haben, ohne vollständige Impfung mit EU-anerkannten Vakzinen nicht hereingelassen werden. Dass die ganze Delegation bereits einmal geimpft wurde, lassen die Behörden nicht gelten; dass sie seit mehr als einem Monat in freiwilliger Quarantäne sind, lassen die Behörden auch nicht gelten; und dass sie negative PCR-Tests vorweisen können, lassen die Behörden schon gar nicht gelten. Das hat längst nichts mehr mit Gesundheitsvorsorge zu tun und auch nichts mit Panik vor der Pandemie, denn tagtäglich reisen unzählige Geschäftsleute und Celebrities mit Ausnahmeregelungen aufgrund von gesetzlich vorgesehenen „wichtigen Gründen“ ein. Aber auch für die Ankunft der Zapatistas gibt es eine ganze Reihe wichtiger Gründe, unaufschiebbar wichtiger Gründe: sie bringen die Saat der Geschwisterlichkeit mit, sie bringen ihre Erfahrungen im antikapitalistischen Widerstand mit, und sie bringen ihr offenes Herz zum gleichberechtigten Austausch mit, und wir bestehen darauf, dass diese wichtigen Gründe endlich anerkannt werden!
27 Jahre Aufstand, 37 Jahre Vorbereitung, und über 500 Jahre Widerstand
Am 1. Jänner 1994, als nach dem Zusammenbruch der staatssozialistischen Länder die kapitalistische Globalisierung endgültig für alternativlos erklärt worden war, sind die Zapatistas mit Schimützen und Holzgewehren aus dem Regenwald herausgekommen und haben die Welt daran erinnert, dass es überall widerständige Menschen gibt, die nicht bereit sind, ihre überlieferten (indigenen) Lebensformen gegen einen paternalistischen Anteil an Konsumgütern einzutauschen. Sie haben erklärt, dass sie das Ergebnis von mehr als 500 Jahren Widerstand gegen Eroberung, Plünderung, Grausamkeit, Sklaverei, Kolonialismus, Kapitalismus und Umweltzerstörung sind, und fest dazu entschlossen, ihren alten und berechtigten Forderungen nach Würde und Anerkennung mit Worten und Waffen Nachdruck zu verleihen. Seither organisieren sie sich in selbstbestimmten Räteregierungen, sie verwalten ihre aufständischen Territorien basisdemokratisch, bauen gemeinsam Schulen, Theater und Krankenhäuser, halten eine unabhängige Rechtsprechung aufrecht, und laden mit großer Regelmäßigkeit die Zivilgesellschaft der ganzen Welt zu sich ein, um gemeinsam Wissen und Fähigkeiten, Künste und Fertigkeiten, Träume und Widerständigkeiten zu vermehren, um eine Welt zu schaffen, in der viele Welten Platz haben. Sie vertreten keine Ideologie, aber sie haben eine Methode, und die besteht darin, fragend voranzukommen und gehorchend zu befehlen. Dabei sind sie ständig von staatlicher und paramilitärischer Gewalt bedroht, mit der ihre Errungenschaften zerstört werden sollen, von Infrastrukturprojekten bedrängt, die sie aus ihren Gebieten vertreiben wollen, und mit Rassismus und Verachtung konfrontiert, durch die ihre Existenz vergessen gemacht werden soll. Vor 37 Jahren hatten sie sich klandestin im Regenwald organisiert, vor 27 Jahren haben sie sich dem Lauf der verkehrten Welt mit einem lautstarken »Es reicht!« entgegengestellt, und seit ein paar Wochen sind die ersten 7 von ihnen bei ihrer »Reise für das Leben« in Europa angekommen.
Was wollen sie ausgerechnet bei uns?
In ihrer Europareise, dem ersten Teil ihrer weltumspannenden »Reise für das Leben« geht es den Zapatistas darum, dem Europa von unten und von links zuzuhören, uns mit Fragen zu löchern, Albträume und natürlich auch Träume miteinander zu teilen. Sie wollen wissen, wer denn diejenigen sind, die hier gegen die gleichen globalen Windmühlen kämpfen wie sie, welche Wege wir in Europa beschreiten, um die Welt zu retten, die Klimakatastrophe zu verhindern, den Kapitalismus zu besiegen, den Frauenmorden ein Ende zu setzen und eine gemeinsame solidarische Weltgesellschaft aufzubauen. Ihre wichtigsten Ziele sind sicherlich keine Massenveranstaltungen (obwohl sie diese auch nicht ausschließen), sondern der Austausch von Geschichten, Wissen, Gefühlen, Werten, Herausforderungen, Misserfolgen und Erfolgen. Die Zapatistas sagen, sie wollen ihr Wissen, ihre Erkenntnis und Erfahrung mit Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen, Philosophinnen austauschen und ins Gespräch einbringen. Aber sie wollen nicht nur mit den kritischen Beobachterinnen dieser Welt reden, sondern vor allem mit all denen, die in ihrem Alltag kämpfen und sich gegen das bestehende und das noch kommende Unheil zusammentun. Denn, so sagen die Zapatistas, es geht ihnen vor allem um die Einschätzung und Analyse all derer, die ihre eigene Haut im Kampf gegen die warenproduzierende Maschinerie riskieren, die im Begriff ist, den Planeten selbst zu verschlingen. Sie kommen, kurz gesagt, um zu reden und all denen zuzuhören, die dazu bereit sind, und sie kümmern sich dabei nicht um Geschlechter, Religionen, Ethnien, Hautfarben, Nasengrößen oder politische Mitgliedschaften.
Weltweiter Widerstand ist keine Einbahnstraße
Wie viele Delegationen, Brigaden, Kollektive und Einzelkämpferinnen sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten von Europa aus nach Cuba, Nicaragua, Kolumbien oder Chiapas gefahren, um von den revolutionären Bewegungen zu lernen, sie zu unterstützen, und das Netzwerk des Widerstands ein Stück weit zu vergrößern. Auch wenn es noch so gut gemeint, gedacht und gemacht war, am Ende sind doch immer viel mehr Europäerinnen nach Abya Yala gefahren, als es Indigene nach Europa verschlagen hätte, und eine Delegation von mehr als 160 indigenen Rebell*innen ist hierzulande noch nie empfangen worden. Und dabei geht es um sehr viel mehr als um die internationale, oder transnationale, oder antinationale, oder wie-auch-immer-rationale Solidarität – es geht nämlich längst ums Überleben von uns allen und des ganzen Planeten. Denn die drohende Katastrophe betrifft nicht einfach diese Europäer oder jene Indigene, der gegenwärtige Untergang gilt nicht diesem System oder jener Weltanschauung, sondern er betrifft die ganze Welt, vollständig und ausnahmslos, von den Zentren der Macht bis in die abgelegensten und unzugänglichsten Winkel. Das große Problem besteht darin, dass unser Planet bereits ein riesiger Trümmerhaufen ist, ein echter Albtraum, ein greifbarer Schrecken mit vergifteten Gebirgen und vermüllten Meeren. Selbst das mediale Leichentuch, das die Katastrophe vor uns verbergen soll, hat bereits Risse bekommen, und niemand wird noch ernsthaft behaupten, dass er oder sie nichts davon wisse, nichts damit zu tun habe oder nicht davon betroffen sei. Es geht also um eine nicht ganz einfache Sache, die unsere weltweite Anstrengung verdient und benötigt, denn es geht um nichts weniger als darum, wie es die Zapatistas formulieren, diese Welt neu zu schaffen.
Mach mit und bring Dich ein!
Ist der Zapatismus die große Antwort auf all die unerträglichen und unaufschiebbaren Probleme dieser Welt? Natürlich nicht! Der Zapatismus ist vielmehr ein ganzer Berg voller Fragen, und die geringfügigste Frage ist vielleicht auch die beunruhigendste von allen: »…Du – was ist mit Dir?« Ein loses Netzwerk von politischen und zivilgesellschaftlichen Aktivist*innen hat die Zapatistas auch nach Österreich eingeladen, um mit ihnen zu diskutieren, zu tanzen, zu feiern und zu beratschlagen. Bisher haben Gruppen, Initiativen, Kollektive und Einzelpersonen aus allen Bundesländern Einladungen an die zapatistischen Delegierten ausgesprochen. Geplant sind soziale, politische und kulturelle Begegnungen, Treffen und Veranstaltungen in Innsbruck, Salzburg, Linz, Graz, Wien, Burgenland und Kärnten – mit den Zapatistas, sobald sie eben da sind. Aber selbstverständlich gibt es schon vorher viele Debatten und Ereignisse (zapalotta.org/events), um die Fragen der Zapatistas zu vervielfältigen, und um uns gemeinsam auf die Suche nach Antworten zu machen. Wie lassen sich die zapatistischen Ideen und Praktiken von einem selbstverwalteten, nachhaltigen, gerechten, gleichberechtigten und würdevollen Leben für alle auf dem einzigen Planeten, den wir eben haben, aufgreifen zur Weiterentwicklung von widerständischen Netzwerken, um die dringend notwendigen Änderungen lokal, regional und global voranzubringen?
Wir sind ein offenes Netzwerk
und neue Mitwirkende sind immer herzlich willkommen. Unsere Kommunikation passiert großteils zweisprachig auf Deutsch und Spanisch, und es gibt auch ein spanischsprachiges Netzwerk, das unsere Aktivitäten mitträgt und verstärkt.
Nähere Auskünfte, Verlautbarungen, Programme und Initiativen finden sich hier:
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Aktuelle und zukünftige Veranstaltungen findet ihr in unserem Veranstaltungskalender
Für regelmäßige Informationen über den aktuellen Stand der zapatistischen »Reise für das Leben« und die Planungen zu den Begegnungen und Gesprächen in Österreich, abonniert diesen Newsletter oder schreibt an: zapatour@kinoki.at