Der zapatistische Unglücksrabe (erzählt wird die Geschichte des Zusammentreffens vom SupGaleano und Calamidad (*1); als Beiwerk folgt Die Geschichte des Popcorn; und auf der Sportseite:
Das erste Welt-Fußball-Spiel; sowie andere – für den Sup – unsägliche Geschehnisse) Anmerkungen als Kopfzeilen (dies lediglich, um die Fußnoten zu vermasseln):
(1) Eine erste Version dieser Geschichte wurde bereits mündlich im Caracol Tulan Kaw während des Zweiten [zapatistischen Film-Festivals] Puy ta Cuxlejaltik (*2) im Dezember 2019 erzählt. Als Schrifttext war sie bisher unveröffentlicht – bis jetzt. In dieser Version bleibt der ursprüngliche Textkörper erhalten. Einige Details sind jedoch hinzufügt, die dazu dienen können, mehr als Einen – der an die Kurz-Lektüre von Ideen und deren Umfang gewöhnt ist – zur Verzweiflung zu bringen oder auch nicht. Es ist möglich, dass Du einige Spoiler (*3) über das, was jetzt bekannt ist als »Überfahrt für das Leben«, entdecken wirst. Keine Sorge, es ist üblich, dass der Zapatismus Dinge äußert, die noch nicht passiert sind. Die zapatistische Unverantwortlichkeit ist bereits legendär, also hör‘ auf, Dich zu beschweren oder Klatsch zu verbreiten.
(2) Leider beinhaltet der Text nicht die Spezialeffekte, die im besagten Caracol [während des Film-Festivals] eingesetzt wurden und die dem SupGaleano 7 Nominierungen einbrachten für den »Papp-Popcorn« – höchster Preis, der an diejenige Person verliehen wird, die die meisten Schälchen mit Popcorn und ordentlich scharfer Sauce verzehrt … ohne auf Mittel gegen Sodbrennen zurückgreifen zu müssen. Auszeichnungsgrad: »mit oder ohne Film«.
(3) Warning – Warnung: Die folgenden Erzählungen könnten Bilder enthalten, die diejenigen schockieren, denen es an Imagination und Intelligenz mangelt, oder an anderen Dingen, die innerhalb der Moderne gleichfalls keinerlei Wert haben. Ihre Lektüre wird Erwachsenen über 21 Jahren nicht empfohlen, es sei denn sie stehen unter Aufsicht von Kindern unter 12 Jahren. Wie?! Du wirst das lesen, trotz dieser ernsthaften Warnung?! Sagte ich es nicht, es gibt keinerlei Werte mehr – aber hallo!
(4) Die Erzählung wurde angeregt durch reales Geschehen. Die Klar-Namen bleiben bestehen, um vor der Rechtskommission des Rates der Guten Regierungen die jeweiligen Verantwortlichkeiten klar zu umreißen … Was? Ahja klar, Du kannst die Wahrhaftigkeit des hier Erzählten bezweifeln, jedoch … Hast du nicht auch daran gezweifelt, dass die Zapatones (*4) Europa invadieren? Achja, wirklich? Alle Wesen, die sich hier zeigen, gibt es wirklich. Falls welche sich das nicht vorstellen können, trägt die Realität daran keinerlei Schuld. Eher ist es mangelnde Imaginationskraft.
(5) Äh, was? Nein, ich schimpfe nicht, ich gebe Dir nur, wie gesagt wird, den Kontext des jetzt Folgenden – und der ist …
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Dies ist die Geschichte eines zapatistischen Mädchens, das nicht gemocht wurde, weil es unterschiedlich unter den Unterschiedlichen war und ist. Das Mädchen, von dem ich Euch erzähle, wurde in einer indigenen zapatistischen Gemeinde geboren. Der Name seines Dorfes, der Region oder Zone ist hier nicht wichtig.
Immer von Spiegeln weit entfernt, wuchs es heran, indem es die Welt sah und hörte mittels des Blicks und des Gehörs der anderen Mädchen und Jungen. Es wurde als kräftiges Kind geboren und ist ein großes Mädchen. Und wenn ich sage kräftig oder groß, so beziehe ich mich auf seine Körpergröße, seine Statur und Gewicht, und nicht auf sein Lebensalter oder Erfahrung (*5). Jedoch wie Euch bereits sagte, das Mädchen sah sich selbst entsprechend des Blicks der Mädchen und Jungen seines Alters; es war sich seiner Verschiedenheit nicht bewusst.
In seiner Vorstellung von sich selbst war es so klein wie die restlichen Mädchen und Jungen seiner Generation, jetzt zwischen 3 und 6 Jahre alt.
Nachdem es geboren wurde, stürzte es kurze Zeit darauf. Ihr wisst ja bereits, dass es für indigene Frauen üblich ist, nach dem Gebären ihre Arbeiten wieder aufzunehmen. Mit dem Rebozo, dem Tragetuch tragen sie das Kleinkind wie Mama Känguru. Dort isst und schläft es – ihr Produkt – und macht seine sogenannten primären Bedürfnisse (das heißt: »großes« oder »kleines Geschäft«; für die Neueingeweihten: gemeint ist damit »urinieren« oder »Stuhlgang haben«). Mit dem Kind derart ihrem eigenen Körper verbunden, handhabt die Frau den Rebozo, während sie ihre Arbeit macht – und nicht wenige Male verschiebt sich das Tragetuch auf dem Rücken und hängt quer. Ergo: Die Mamas übertreffen somit die Kängurus.
Letztendlich gibt es dem Kind eine Überlegenheit über diejenige, die es schuf – denn es kann sehen, was seine Mutter nicht sieht. Somit sieht das Kleinkind, wenn es vorne getragen wird, was seine Mutter sieht – und sieht, was seine Mutter nicht sieht, wenn es rücklings getragen wird. [Es kann] beide Perspektiven [einnehmen], ohne die intime Nähe zu seiner Schöpferin zu verlieren. Dieser doppelte Blick – der denjenigen, die in einer indigenen Gemeinde geboren werden, aufwachsen, leben und sterben als normal erscheinen kann – erlaubt dem Kind der Zensur zu entfliehen. Das heißt, es kann Dinge sehen, während die Mutter vielleicht möchte, dass es sie nicht – oder noch nicht – sieht.
Oh, ich weiß. Ich spekuliere aus einer Erwachsenenwelt heraus über das Sehen in der frühen Kindheit. Dieses jedoch ist eine Erzählung oder eine Geschichte, wo Ihr niemals wissen werdet, ob sie wirklich passiert ist oder passiert – oder erfunden wurde in einer dieser einsamen, mit Kaffee und Tabakrauch angefüllten Morgendämmerungen, die sich in den Bergen des Südosten Mexikos ein ums andere Mal wiederholen.
Somit zu dem Mädchen zurückkehrend: Seine ersten Lebenstage unterschieden sich nicht sehr von denen der Anderen. Manchmal sah es, was die Mutter sah: das Herdfeuer, den Stapel Brennholz, den Topf, die Teller, den Löffel, Auswasch und Eimer, die Tiere, den Schöpfungskomplizen (»Papa« wird es später zu ihm sagen) – und vielleicht auch die anderen Kinder unterschiedlichster Größe, die herumliefen und Arbeiten machten – die es späterhin »Brüder« oder »Schwestern« nennen wird und die seine ersten Konflikte darstellen werden. Denn, wie Ihr alle wisst: Geschwister, die sich nicht streiten, sind keine Geschwister.
Wenn es das Mädchen auf dem Rücken getragen wurde, dann sah es eine andere Welt. So könnte es sein, dass das, was da auftauchte, ihm Angst machte – und es sich in den Rebozo flüchtete und dabei vielleicht dachte: »Oh nein, zu viel Information. Jetzt muss ich mich auf das Wesentliche in dieser Welt konzentrieren: heulen, essen, kacken, schlafen, und wieder von vorne.«
Oder es könnte sein, es versteckt sich nicht. Es könnte sein, dass seine Augen sich noch weiter öffnen, und seine kleinen Hände versuchen, den Flug eines Vogels zu erhaschen – oder diese Ente (ohne zu beleidigen (*6)), die sich ja sehr anders bewegt. Doch wer wäre sie, dies zu kritisieren – wo sie noch nicht einmal wusste, dass diese zwei Dinge dort unten an ihrem Körper zu mehr dienen sollten als zu versuchen, sie in den Mund zu stecken?
Was geschah, hätte jedem passieren können. Die Mutter, damit beschäftigt, das Brennholz zu stapeln, schwang sich das Tragetuch schräg nach hinten auf den Rücken und bemerkte dabei nicht, dass durch diese Bewegung der untere Teil des Tuchs Gefahr lief. Das Mädchen, da es – wie ich Euch bereits sagte – groß und schwer war, rutschte heraus und fiel mit einem »Plumps« auf den Boden – fast unmerklich, denn die Schlammpfütze, in der es landete, verminderte den Aufprall.
Nicht alle Unfälle gehen unglücklich aus. Dem Mädchen blieb keine Zeit zum Heulen, denn just in diesem Moment, kam Mama Cucha des Weges – ein großes Mutterschwein mit einigen seiner Ferkelchen, den cuchitos im Schlepptau. Das Mädchen schloss sich der Prozession an, auf allen Vieren hinterher robbend – wie ein zusätzliches Ferkelchen in dieser Herde.
Seine Mama merkte nichts – bis ihr Ehemann vom Maisfeld kam und nach dem Mädchen fragte. Da merkte sie erst, dass das Tragetuch weniger schwer war als ansonsten.
Sie begannen nach dem Mädchen zu suchen und brauchten nicht lange, um es zu finden: Versammelt mit den Ferkelchen vergnügte es sich mit dem Schlamm und umarmte ein Ferkelchen, das mit seiner Geste der Zuneigung nicht glücklich war – denn ich sagte es ja bereits: Das Mädchen war groß und schwer.
Der Mann lachte aus vollem Herzen und ging los, sein Handy zu holen, um ein Foto zu machen. Die Mutter meinte, was alle Mamas der Welt in einem ähnlichen Fall sagen würden: »Mädchen, du bist ein Unglücksrabe!«
Da das Mädchen bereits krabbelte, ließ sie das Tragetuch sein – was der Rücken der Compañera sehr begrüßte. Das Mädchen war nicht nur groß sondern auch neugierig. Einmal fiel ihr ein, auszuprobieren, was geschehen würde, wenn sie ein brennendes Holzscheit, das aus dem Herdfeuer gefallen war, in einen Lappen einwickeln würde. Der Punkt war: Der Lappen stellte sich als Unterrock der Compañera heraus. Die Mutter erkannte dies, weil es nach verbranntem Nylon roch und schrie: »Mädchen, du bist ein Unglücksrabe!«
Eines Tages nahm seine Mama es mit zum Markt in der Kreisstadt. Während sie nach einem Unterrock suchte, der den verbrannten ersetzen sollte, näherte sich das Mädchen einer Pyramide aus Konservendosen. Es schien ihm, als ob die untersten nicht recht angeordnet seien, und so zog es eine von ganz unten heraus. Das Getöse war in der gesamten Markthalle zu hören. Der Eigner des Marktstandes nahm das Mädchen auf den Arm und übergab es seiner Mutter mit den Worten: »Señora, ihr Mädchen ist ein Unglücksrabe.«
Wenn Mann und Frau – nach einem langen Arbeitstag, nach ihren Arbeiten, die sie jeweils zu machen hatten – wieder zusammen kamen und Neuigkeiten austauschten, begann die Mutter ihre Rede mit: »Dieses Mädchen ist ein Unglücksrabe«, und es folgte eine lange Liste ihrer Streiche.
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Was Alle nicht wissen sollten: Die Jungen und Mädchen respektieren die Champa, die Hütte des SupGaleano nicht. Egal wie viele Fallen und Hindernisse der Sup auch aufstellen mag, sie finden immer den Modus, um an der Türschwelle aufzutauchen und um Biskuits oder einen Ball oder einfach um eine Erzählung zu bitten.
Eines Nachmittags erschien ein groß gewachsenes Mädchen. Der SupGaleano mit seinem charakteristisch diplomatischen Taktgefühl fragte nur: »Und du? Wer bist du? Dich kenne ich nicht.« Das Mädchen gab logischerweise zu Antwort: »Ich bin eine Calamidad, ein Unglücksrabe.«
Dem SupGaleano gefiel die Ehrlichkeit des Mädchens, und so ließ er sie in der Hütte sein, bis ihre Mutter ankam, sie suchend. Die Señora brachte Entschuldigungen hervor, denn ihre Tochter sei ein Unglücksrabe. Der SupGaleano – der Empathie für die Kinder hat, vielleicht weil er selbst die Pubertät nicht erreichte – murmelte bloß: »Nun, das Mädchen verbirgt das nicht, es hat es übernommen.«
Von da an tauchte das Mädchen immer wieder in der Hütte auf und machte dort, wie es vorherzusehen war, eine seiner Kalamitäten. Es hatte beispielsweise beobachtet, wie der SupGaleano den Gato-Perro (*7), den Katze-Hund ausschimpfte, weil er auf den Boden und gegen die Wand der Hütte pinkelte. Eines Tages kam Calamidad die Lust, Pippi zu machen, und sie kletterte auf die vollkommen zertretene und angesengte Matratze des Sup (denn der Sup ist ein Unverantwortlicher, der im Bett Pfeife raucht – nein, das stimmt nicht; ja, ich bin ein Unverantwortlicher, aber das ist jetzt nicht Thema. Die Matratze war natürlich bereits platt gelegen – ja, und manchmal ein Niesen – könnt Ihr Euch ja vorstellen) – und machte dort »ihr kleines Geschäft«. Der SupGaleano regte sich auf und fragte Calamidad, warum sie das mache. Und mit dieser überwältigenden Logik der Kinder gab sie ihm zur Antwort: »Weil du gesagt hast, hier wird nicht auf den Boden gepinkelt.«
Der Sup wusste nicht, was er sagen sollte, und mit dem Wischlappen tat er, was er konnte, um die Matratze zu reinigen – mit welcher ja auch nicht zu protzen ist. Nachdem eine Mäusefamilie sie sich als Heimstätte gegriffen hatte und mit den Brandflecken durch die aus der Pfeife gefallenen [brennenden] Tabakkrümel, stellte die Matratze auch nichts dar, worum der Sup sich zieren sollte.
Und um das zu bekräftigen, sah der Gato-Perro den Sup mit einem Gesicht an wie: »Hier zeigt es sich: Im Vergleich zu Calamidad bin ich ein Heiliger.« Aus dem gleichen Grund sympathisierte der Gato-Perro mit dem Mädchen. Seine Streiche erschienen winzig, verglichen mit denen der gefürchteten Calamidad.
Und somit vertrugen sich das Mädchen, der Sup und der Gato-Perro bestens, vielleicht weil die Drei dysfunktional waren, fehlerhaft funktionierend. Das heißt, sagen wir es mal so: Sie werden nie dahin kommen, ein bürgerliches Vorbild zu sein. Sie werden weder Preise gewinnen noch Regierungsposten einnehmen oder ähnlich schreckliche Dinge. Trotz all dem schlich sich Calamidad weg, als die Bande von Defensa Zapatista (*8) auftauchte – denn sie wusste, sie war beim Rest der Menschheit nicht gut angesehen.
Jedoch wie sagte der verstorbene SupMarcos (den der liebe Gott in seinem geheiligten Himmelsreich halte und die heiligste Jungfrau mit ihrem Segen überschütte): »Wenn du denkst, es könnte nichts Schlimmeres passieren, kann immer noch die Bande von Defensa Zapatista auftauchen.«
»Ein Unglück kommt selten allein«, sage ich – und so brauchte es nicht lange, bis eine Reihe an Phänomenen zusammen traf, die die Vorgeschichte eines perfekten Sturmes sein würden.
Ja, es kam der Tag oder eher ein Nachmittag, als Calamidad in die ausgewählte Gruppe von Defensa Zapatista eintrat. Deren stellvertretende Leitung, Esperanza Zapatista – Zapatistische Hoffnung – wiederholte lediglich das Paradoxe ihres Namens …
CALAMIDAD UND DIE BANDE VON DEFENSA ZAPATISTA
Es war Nachmittag in den Bergen des Südosten Mexikos. Auf der Weide einer Comunidad spielte eine Gruppe von Jungen und Mädchen mit einem Ball. Nun gut, so könnte es welchen vorkommen, die diese Bande nicht kennen.
In Wirklichkeit handelte es sich um ein striktes Training der Kinder-Fußball-Equipe von Defensa Zapatista. In diesem Augenblick üben sie gerade den Gegen-Schlag – ein Manöver, das Defensa Zapatista wie folgt erklärt: »Stellt Euch vor, die verfluchten Feinde der gegnerischen Equipe kommen mit dem Ball angerannt. Sie sind größer als wir, spielen besser als wir, und das gesamte Publikum unterstützt sie. Sie sind besser genährt als wir, besser trainiert und haben ordentliche Fußball-Kleidung, und wir spielen auf ihrem Spielfeld. Das heißt, sie sind die Lokalen. Was machen wir?«
Pedrito zuckt mit den Achseln; Defensa Zapatista‘s Hypothesen erscheinen ihm immer prinzipiell fehlerhaft und schlecht durchdacht. Das einäugige Pferd unterlässt es einen Moment, auf der Plastikflasche herum zu kauen, es macht den Eindruck, als ob es einen Augenblick nachdenkt. Danach fährt es weiter fort, als ob nichts wäre. Der Gato-Perro stellt sich hinter Defensa auf; er scheint auch auf die Antwort zu warten. Esperanza Zapatista merkt, dass sie als Einzige übrig bleibt, somit wappnet sie sich mit dem Mut der Frauen, die kämpfen – nichts als Widerstand und Rebellion – und hebt ihre kleine Hand. Defensa atmet erleichtert auf und sagt: »Lass‘ mal hören, Esperanza. Was werden wir tun?« Esperanza Zapatista räuspert sich ein wenig und – der vom verstorbenen SupMarcos geschaffenen zapatistischen Methode folgend – fragt es zurück: »Wir laufen weg?«
Der Gato-Perro bewegt zustimmend den Schwanz. Pedrito ist kurz davor zu sagen, die Antwort-Frage von Esperanza eröffne ein neues erkenntnistheoretisches Gebiet; das einäugige Pferde kaut weiterhin – jedoch jetzt noch kräftiger.
Defensa Zapatista rauft sich die Haare und ruft: »Nein, nichts mit Weglaufen. Sondern nichts als Widerstand und Rebellion. Was wir tun, ist einen Gegenschlag versetzen. Nun, einen mächtigen Tritt, der den Ball sehr weit fliegen lässt. Mal sehen, Pedrito, du trittst jetzt den Ball.«
Bei Wissenstheorie und erkenntnistheoretischen Paradigmen wird Pedrito immer sehr gewitzt, den Ball schießt er jedoch immerzu schief. Somit wird der Ball anstatt ins gegnerische Spielfeld in den kleinen See fallen, der sich an einer Seite der Weide befindet – pardon, an der Seite des Platzes für autonomes Hochleistungstraining – Erlaubnis des Rates der Guten Regierung, Nummer was-weiß-ich, mit Sitz im Caracol Tulan Kaw, Ort bekannt.
Die Bande drängt sich am Ufer des kleinen Sees zusammen und schaut trostlos, wie der Ball genau in mitten des unwirtlichen Meeres dahintreibt … o.k., in mitten der großen Pfütze; denn »der See« hat nicht mehr als 10 m Durchmesser und überschreitet nicht die Tiefe von 50 cm.
Esperanza Zapatista – mit einem Optimismus, den ihr Name verrät – gibt von sich: »Sicherlich gibt es dort brutale Haie – von dieser Sorte, die Dich nicht einmal zerkauen, sondern Dich einfach verschlucken – und dann stirbst Du grausam im Bauch des Hais – in mitten von kleinen Fischen und Plastikflaschen, die er zuvor verspeiste.«
Das einäugige Pferd stellt die Ohren auf als es »Plastikflaschen« hört, aber es bewegt sich nicht.
Während Esperanza dieses wunderschöne impressionistische Bild – Modell: »Sharknado« (*9) – beschrieb, hatte Pedrito sein Smartphone zu Rate gezogen.
»Unmöglich. In Süßgewässern gibt es keine Haie. Infolgedessen gibt es vor diesen Selachimorpha nichts zu fürchten.«
Alle atmen erleichtert auf. Pedrito jedoch fährt weiter fort: »Andererseits ist es sehr wahrscheinlich, dass es Krokodile gibt«, und zeigt dabei auf etwas wie einen Baumstamm, der im kleinen See treibt. Alle erschauern.
Der Gato-Perro seinerseits ist zwar Hund aber auch Katze, also nichts da mit Sich-nass-machen.
Defensa Zapatista zieht ihre Schlüsse: »Nun gut, der Ball war ja auf jeden Fall bereits alt. Vielleicht hat der Sup noch einen anderen aufbewahrt, oder bittet diejenigen in der Stadt darum.«
Während die gesamte Bande versucht, ihre Angst als Bedachtsamkeit zu kleiden, kommt Calamidad hervor, die alles aus ihrem Versteck beobachtet hatte – und wirft sich ins Wasser, sammelt den Ball ein und kommt mit ihm an und setzt ihn genau vor Defensa Zapatista ab.
Die Bande, nachdem sich ihre Verblüffung gelegt hat, klatscht wilden Beifall und versucht, Calamidad auf ihre Schultern zu heben. Doch sie wiegt schwer, und so ziehen sie es vor, ihr auf die Schulter zu klopfen.
Nachdem der Ball wiedergewonnen wurde, fängt Defensa Zapatista an, neue Instruktionen zu geben. Als jedoch alle sich umdrehen, hat Calamidad den Ball erneut ins Wasser geworfen.
Defensa fragt: »Was hast du gemacht?« Aber anstatt eine Antwort zu geben, wirft sich Calamidad erneut ins Wasser und holt den Ball erneut heraus. Wieder applaudieren sie. Beim dritten Mal nimmt die Bande den Ball mit Grabesschweigen in Empfang.
Beim fünften mal müssen alle Calamidad festhalten, damit sie nicht noch einmal den Spielball ins Wasser wirft. Calamidad ist ganz durch einander. Wie? Das Spiel ging so nicht?
Die Equipe zieht sich ein wenig zurück, eifersüchtig den Ball hütend und weit entfernt von Calamidad’s Zwanghaftigkeiten. Nur Defensa Zapatista verbleibt nachdenklich und schaut gespannt auf das Mädchen. In ihrem komplexen Denken – voll fußballerischer Strategie und Taktik – versteht sie nun, was einmal der verstorbene SupMarcos geäußert hatte: »Das Wunder der Überraschung liegt nicht nur darin, etwas Unerwartetes zu tun, sondern auch darin – wo es gemacht, wann es gemacht wird, mit was … und mit wem.« Das Gesichtchen von Defensa Zapatista strahlt. Sie fragt das Mädchen: »Wie heißt du?« Dies gibt zur Antwort: »Ich bin eine Calamidad, ein Unglücksrabe.«
Defensa umarmt Calamidad und sagt ihr: »Du wirst in unserer Equipe sein. Von jetzt an heißt du Calamidad Zapatista« – und sich an den Rest der Gruppe richtend meint sie: »Jetzt haben wir eine neue Geheim-Waffe.« Alle schauen voll Schrecken – während Defensa gerade eine neue und komplizierte Spiel-Strategie erklärt, die sie »Widerstand und Rebellion« nennt – als Calamidad erneut den Ball ins Wasser wirft und nach einem Lächeln sich in das wütende Meer wirft … o.k., in den kleinen See, um den Ball zu erhaschen.
Esperanza schwört, dass ein fürchterlicher Wal den Ball zu Calamidad brachte. Pedrito erklärt, es war kein Wal sondern der Kraken (*10), der sich auf zapatistisches Land geflüchtet hat … o.k., in zapatistische Gewässer.
Calamidad war glücklich, weil sie neue Freunde hatte – und nicht irgendeine Freundes-Gruppe sondern es war die Bande von Defensa Zapatista – die einzige gegen die es praktisch in allen zapatistisch-organisativen Strukturen Zulassungsbeschränkungen, einstweilige Anordnungen gibt .
Calamidad Zapatista wird 3 oder 4 Jahre alt sein, und da sie die Kleinste vom Alter her jedoch nicht der Größe nach ist, sagt sie zu Älteren: »Doña«, wie es ihr beigebracht wurde. Zu Defensa Zapatista sagt sie: »Doña Defensa«, was weder Defensa noch Esperanza schmeichelt, die mit 8 Jahren derart zu »Doña Esperanza« wird.
Bereits schon in der neuen Gruppe fühlte Calamidad auf einmal die Notwendigkeit, dies ihrer alten Kinder-Bande mitzuteilen. Sie hielt eine sinnige Abschiedsrede gegenüber einigen kleinen Ferkeln – die sie beschnüffelten und ihr an den Hosenbeinen knabberten. Die Anwesenden schwören, dass sich Mama Cucha die Augen trübten.
Die Subs, das Geheime Revolutionäre Indigene Komitee (CCRI) (*11), die Zonen, die Räte der Guten Regierungen, die Zapatistischen Autonomen Rebellischen Landkreise und alle gewesenen und noch kommenden autonomen Kommissionen werden sich beschweren, so viel sie wollen – eines jedoch muss der Bande von Defensa anerkannt werden: Sie beschützen sich untereinander.
Somit konnte Calamidad wieder an verschiedenen öffentlichen Feierlichkeiten der EZLN teilnehmen, die ihr zuvor verboten waren, weil gefürchtet wurde, sie würde eine Kalamität begehen.
Nun, es war nicht seltsam, bei den Events ein herumlaufendes Mädchen zu sehen, das umgeben war von einem starken Begleitschutz aus Milizionärinnen. Wir alle jedoch wussten, dass sie nicht auf das Mädchen aufpassten sondern auf die Besucher – nun denn – sie war eben ein Unglücksrabe.
Pedrito erklärt es auf diese Weise:
»Nun, die Compañerita, die kleine Compañera Calamidad – wie soll ich es Dir sagen – nun sie ist eine Kalamität, ein Unglücksrabe. Kein Mensch mag sie – lediglich der Sup und Defensa Zapatista mögen sie gern. Und natürlich sprechen sie mit dem Sup, und dann fangen beide an, gegenseitig zu singen – Calamidad und der SupGaleano. Sie singen schauerlich, als ob sie Bauchweh hätten. Sie meinen jedoch, sie würden sehr hübsch singen. Sie führen ihre Theaterstücke auf und kein Mensch schaut zu. Lediglich die Grillen nehmen daran teil. Und der Sup sagt, die Grillen klatschen Beifall. Aber wie soll das denn sein, die Grillen lärmen ja ständig, also kann es kein Applaus sein. Calamidad glaubt das jedoch, und sie macht ihre Dankes-Runden – so hat sie der Sup gelehrt – und dann erzählt der Sup noch einige wundervoll-schauerliche Geschichten, während sie Popcorn verschlingen.«
Und genau in diesem Augenblick befinden sich lediglich der Sup, der Gato-Perro und Calamidad in der Champa, der Hütte. Und plötzlich, einfach so, steckt sich der Sup eine Handvoll Popcorn mit scharfer Sauce in den Mund, nimmt einen Schluck des bekannten Cola-Erfrischungsgetränks und fängt an zu erzählen …
DIE GESCHICHTE DES POPCORN
Vor langer Zeit – als die Zeit begann noch schwankend-taumelnd zu laufen, wie ein betrunkener kleiner Alter, viejito bolo, versammelten sich die die größten Götter, die die Welt geschaffen haben, in einer Asamblea. Sie trafen die Übereinkunft, die Weiseste von allen – die Ixmucané (*12) – zu beauftragen, die Mais-Männer und Mais-Frauen zu erschaffen.
Die männlichen Götter waren natürlich sehr trottelig, weil es ihnen nicht einfiel, Ixmucané könne dies ja gar nicht tun, da noch keine Mais-Pflanzen geschaffen waren. Somit meinte Ixmucané: »Ah, kleine Brüder, also wirklich, nicht zu glauben … Wie kann ich die Menschheit aus Mais machen, wenn der Mais noch nicht existiert?« »Ist ja gut«, sagten die männlichen Götter darauf, »jedoch sieh zu; denn es ist die Vereinbarung der Vollversammlung; die wirst Du zu erfüllen haben.«
Ixmucané murrte eine ganze Weile vor sich hin, so wie die Frauen murren, wenn sie was tun möchten und es fehlt das Wie. (Ja, die verflixten Kerle bedenken dies durchaus nicht; doch jetzt, wie mache ich es; mal sehen, was mir in den Kopf kommt, um das Problem zu lösen.)
Während Ixmucané am Nachdenken war, begannen die männlichen Götter, schlecht [über sie] zu sprechen: Sie sei ein Faulpelz, die die Übereinkunft nicht umsetze; sie suche Ausflüchte wie ein Enterich – »wie eine Ente«, merkte einer der Götter an. Ein anderer warf ein: »und das, wo wir Enten noch gar nicht erschaffen haben«, und derart weiter. Somit sagten sie sich, wozu auf Ixmucané warten, wenn sie selbst doch die Weisen sind.
Daraufhin schufen sie die ersten Männer und Frauen – aus dem, was sie als erstes vorfanden, das heißt: aus Holz. Die Männer und Frauen aus Holz bewegten sich doch nicht gut; sie liefen herum als hätten sie einen Krampf.
Somit schufen sie andere aus Gold, jedoch diese waren sehr schwer und konnten noch nicht einmal laufen.
Und während die männlichen Götter darüber nachdachten, wie es zu machen sei, zwangen die Gold-Menschen die Holz-Menschen dazu, sie zu tragen, von hier nach dort zu bringen, sie zu ernähren und zu verehren.
Die Götter wussten nicht, was zu tun sei. Da kam Ixmucané herbei und sah, in welchem Zustand alles war. Nun, daraufhin wurde sie wütend und beschimpfte die männlichen Götter, es sei ihre Schuld, dass die Versklavung der Holz-Menschen durch die Gold-Menschen so lange andauern werde.
Und die männlichen Götter gaben zur Antwort: »Waren wir das vielleicht? Wer weiß wo das herkommt. Wir waren mit wichtigen Dingen beschäftigt.«
Ixmucané rief aus: »Schluss jetzt. Außer dass Ihr Trottel seid, seid Ihr auch noch Feiglinge, die die Verantwortung für die Blödseligkeiten, die Ihr macht, nicht übernehmen. Das, was Ihr schlecht gemacht habt, werden wir Patriarchat nennen – denn nur pure kleine Machos, Machitos, haben sich diese Ungerechtigkeit so schlecht ausgedacht.«
Nach dieser Schimpftirade zeigte ihnen Ixmucané, dass sie den Mais bereits geschaffen hatte. Daraufhin klatschten die männlichen Götter Beifall, sie beglückwünschten sich und meinten, sie hätten ja diese großartige Idee gehabt und Ixmucané hätte nur das in die Praxis umgesetzt, was sie selbst in der Theorie sich ausgedacht hatten.
Ixmucané sagte dazu nichts, jedoch trug sie in ihren Händen Mais in allen Farben. Damit erschuf sie die Männer und Frauen, die auf dieser Welt leben. Auch erschuf sie die*der Anderen, loas otroas, denn sie sagte, es ist gut, wenn die Welt weiß, dass sie im Inneren viele Welten trägt – und nicht nur die Welten, die lediglich einfach zu sehen sind. So entstanden die Männer, die Frauen und die*der Anderen … Und die Götter machten sich ans Tanzen.
Ixmucané blieb, ihre Hände betrachtend – und sie sah, nicht alles, was sie verwendet hatte, um den Mais zu schaffen, war genutzt. Da war immer noch ein wenig. Sie dachte daraufhin, es fehle noch eine weitere Lektion für die Welt, die damals gerade begonnen hatte zu laufen. So erschuf sie ganz kleine Maiskörner, die sie in die Erde streute, damit sie entstehen.
Eine Zeit später liefen die Mais-Körner überall herum, sie arbeiteten, damit die Männer, Frauen und die*der Anderen, die die Welt am Aufbauen waren, Kraft hatten. Niemand beachtete jedoch die ganz kleinen Maiskörner, sie wurden verspottet und verachtet. Die kleinen Maiskörner wurden traurig, weil niemand sie wahrnahm. Somit kam einer Gruppe kleiner Maiskörner der Gedanke, so sei es nicht richtig – und warum sie wohl verachtet und nicht wahrgenommen werden.
Und sie waren damit absolut nicht einverstanden. Dort stand die Gruppe der ganz kleinen, inkonformen Maiskörner, und die anderen Maiskörner gingen vorbei und sagten: »Nun, da ist sie, die nicht einverstandene Gruppe der kleinen Maiskörner, aber sie sind sehr klein, niemand wird sie beachten.«
Die kleinen Maiskörner dachten darüber nach, dass es so nicht gehe und alles gleich bleiben würde, obzwar sie nicht einverstanden sind. Da kam Ixmucané an – die gerade eine Welten-Tour machte – um nachzusehen, ob alles gut und gerecht umgesetzt wird. Sie traf auf die Gruppe der kleinen Maiskörner und fragte sie, was sie so tun. Und die kleinen Maiskörner erklären ihr Nicht-Einverständnis. Ixmucané lachte, jedoch nicht aus Spott sondern mit Zuneigung und meinte zu den kleinen Maiskörnern: »Nun gut, schaut mal, kleine Geschwister, es reicht nicht aus, nicht einverstanden zu sein, es muss sich in Widerstand und Rebellion versetzt werden. Es braucht, dass Ihr rebelliert, das heißt, Wut habt, nun ja, zornig seid und Euch organisiert.«
Ixmucané verabschiedete sich, denn die männlichen Götter waren weiterhin dabei, Dummheiten zu machen, und sie musste danach sehen, es wieder zu richten.
Die Gruppe der kleinen Maiskörner dachte darüber nach, was Ixmucané gesagt hatte, und sie sagten zu einander: »Na dann los, wir werden uns jetzt ärgern.« Und sie begannen an alle Erniedrigungen und Schmähungen zu denken, die ihnen angetan wurden, und die Wut wuchs und und der Zorn erhitzte ihr Gemüt. Mehr und mehr. Sie waren schon ganz rot vor lauter Wut, sodass die Hitze kaum auszuhalten war – und: Bummm! Ein Maiskorn platzte, sprang herum, wurde ganz aufgeblasen-schwammig, danach ein weiteres. Es strich ein Wind vorbei, der sie anhob. Alle wunderten sich und staunten, dass die kleinen Maiskörner fliegen. Die anderen kleinen Maiskörner fingen an, es genauso zu machen. Nach einer kleinen Weile platzte und hüpfte ein anderes herum – und noch eins, und noch andere. Dann waren es viele und die Luft füllte sich mit kleinen geplatzten Maiskörnern an.
Ein Mädchen sieht sie in der Luft fliegen und meint: »Sie sehen wie Tauben aus (*13).« Ein Junge fügt hinzu: »Ja, aber wie ganz kleine.« Das Mädchen daraufhin: »Genau! Wie Palomitas: kleine Tauben, Popcorn (*13).« Der Junge – nun, wie Jungen so sind, greift sich ein Popcorn, isst es und gibt von sich: »Ist sehr lecker.« Das Mädchen antwortet: »Ja, aber als ob noch was fehle«, und findet plötzlich ein Fläschchen, welches Ixmucané zurückgelassen hatte, als ob sie es vergessen hätte. Das Mädchen schüttet ein wenig von der Flüssigkeit auf das Popcorn, und es war als ob es scharf brennen würde – aber lecker.
Daraufhin riefen der Junge und das Mädchen alle Jungen, Mädchen und Jungen*Mädchen, Mädchen*Jungen der Welt herbei. Sie begannen damit, die fliegenden Maiskörner zu sammeln, sie in eine Schale zu geben und machten ordentlich pikante Sauce drauf – und sie aßen so lange bis sie Durchfall bekamen. Aber wie Ihr wollt: Sie hatten ihr Fest gefeiert.
All das betrachteten die anderen Maiskörner bewundernd und überrascht; denn jene waren die einzigen, die fliegen konnten, und somit erwiesen sie den kleinen Maiskörnern ihren Respekt. Ihnen verblieb der Name: »Popcorn – Maíz Palomera«. Das bedeutet: »Mais, der fliegt und der ein Fest begeht.« Dies in einer Sprache, die ich gerade erfunden habe.
Und somit: Tan-tan.
Calamidad applaudiert begeistert. Der Gato-Perro nicht, denn seine Pfoten stecken gerade im Popcorn mit pikanter Sauce, und geduldig schleckt er sie ab – denn hier wird nichts verschwendet … wenn es sich um Popcorn handelt
Calamidad erklärt, sie würde Palomitas (*14) spielen. Sie bleibt mitten in der Hütte stehen und fängt an, die Luft anzuhalten und sich aufzublasen. Sie wird rot, dunkelrot (wie die kleinen Kinder, wenn sie plärren). Der Sup ist kurz davor, ihr einen Klaps zu geben, damit sie atmet als Calamidad aufhüpft und einen Schrei ausstößt: »Bummm!« Sie schaut auf den Sup, darauf wartend, dass er das Gleiche tut. Und als der Sup einfach weiter isst als ob nichts wäre, spricht Calamidad zu ihm: »Seid Ihr Zapatista oder was?« Dem Sup hatte sie damit eins übergebraten, und er hält die Luft an. Mit dem Mund voller Tabakrauch und Popcorn jedoch, schafft es er schlechterdings lediglich zu husten und dabei halb zerkautes Popcorn aus sich heraus zu prusten. Calamidad – das kleine Gesicht voll eigener und fremder Popcorn-Krümel – klatscht enthusiastisch in ihre Hände, denn der Sup hat – wie sie sagt – einen Klang hervorgebracht, wie der von vielen platzenden Popcorns.
Der Sup war halb erstickt, erholt sich jedoch sofort als die Insurgenta der Sanität ankommt und meint: »Da muss eine Spritze gesetzt werden.« Alle laufen weg, an der Spitze der Gato-Perro – nicht dass sie ihn noch mit einem Subcomandante verwechseln würden. Lediglich Calamidad bleibt zurück und zieht mit dem kleinen Rucksack der Compañera der Sanität los, Richtung kleiner See – worin zwei Wale sich tummeln und in die Luft springen. Sie wissen sich sicher vor den Schiffen der verflixten großen Kapitalisten, »chinesisch-japanisch-koreanisch«, die – anstatt ihren usos y costumbres (*15) zu folgen – wie Anime, K-Pop ( 팬 덤 군 대 일 어 ) und Stadtmauern (*16) – Wale jagen, um sie in Dollar, Won, Yen, Euro zu verwandeln (ihre Reste dann noch in Peso) …
WIE DAS FUSSBALL-TEAM VON DEFENSA ZAPATISTA
SEIN ERSTES INTERNATIONALES SPIEL GEWANN
Eines Tages realisierte sich das erste internationale Fußballspiel zwischen dem intergalaktischen Team der Frauen, die kämpfen und der sehr anderen Equipe mit Defensa Zapatista als Spielführerin.
Die seltsame Strategie der technischen Direktorin des zapatistischen Teams schien aufzugehen:
Wenn die gegnerische Equipe den Ball hatte und in die Offensive ging, betrat Calamidad das Spielfeld, nahm den Ball und warf ihn in den See.
Im gleichen Moment begann Defensa Zapatista‘s Team Gerüchte über grausame Haie zu streuen, die sich im See herum tummeln sollen. Pedrito erklärte, dies könne nicht sein, jedoch sicherlich gäbe es riesige Krokodile. Esperanza erzählte von einem enormen Wal, der von Zeit zu Zeit mit einer weißen Pasamontañas, der Skimaske auftauchte.
Letztendlich wurde eine Panik gesät, mit einer Geschicklichkeit, sodass Du die Sozialen Netzwerke getrost vergessen kannst.
Na klar, Calamidad warf sich ein ums andere mal ins Wasser und brachte den Ball zurück. Das gegnerische Team beglückwünschte sie als Geste des sogenannten Fair Play und versuchte sie auf die Schultern zu heben, jedoch als … darüber brauchen wir jetzt nicht zu reden.
Beim vierten mal forderte die internationale Equipe der Frauen, die kämpfen den Platzverweis der Überschreiterin [der Regeln] – die von Zeit zu Zeit den Ball in das mit Tigerhaien, Echsen und Alligatoren, Hydren und Kraken bis hin zu Mörderwalen (so sagten sie) verseuchte Meer warf.
Sie spalteten sich jedoch innerhalb, denn sie begannen über die Gender-Schwesternschaft zu diskutieren, über Calamidad ausschließen zu wollen, zeige, wie das heteropatriarchale Denken die Frauen vergifte.
Sie diskutierten lange und als sie aufmerkten, hatte der Gato-Perro den Kopf des einäugigen Pferdes bereits als Abprall-Mauer genutzt. Das Pferd lag dabei schlafend am Spielfeldrand. Mit einem Weder-Messi-Ronaldo-Stil schoss er den durch den Abprall beschleunigten Ball in das gegnerische Tor. Dies wurde nicht nur vom Publikum, das die Weide anfüllte – wollte sagen: das Stadium anfüllte – gefeiert (obzwar lediglich der SupGaleano, Elías Contreras präsent waren und ein einsamer Popcorn-Stand, wo sich zwei Insurgentas mächtig langweilten). Auch von Defensa Zapatista; denn es war doch das erste mal, dass der Gato-Perro nicht das eigene Tor traf.
Der Schiedsrichter ließ den Schlusspfiff erklingen und das Fußball-Spiel war zu Ende. Die Bande von Defensa Zapatista hatte ihren ersten Welterfolg errungen.
Erneut versuchten sie, Calamidad auf die Schultern zu heben, und erneut scheiterten sie daran. Somit fand die Feier nicht die Form, sich zu materialisieren.
Der SupGaleano jedoch löste das Ganze als er meinte, dies alles wäre nur Klatsch und Tratsch, nichts sei bestätigt, vielleicht handele es sich um eine fake-news. Er habe jedoch gehört, Vlady hätte dem SubMoy eine ganze Schachtel mit Donuts der verschiedensten Geschmackssorten übergeben. Der SupGaleano beklagte, dass es keine Biskuit-Küchlein seien, aber wie sagt ein Sprichwort – welches er im gleichen Augenblick erfand – »Fehlen Biskuits, gibt es Donuts.« Der SubMoy sei zum Filmfestival gegangen und hätte die General-Kommandantur der ezettellenn abgeschlossen, dies wäre ein Problem. Die Lösung bestünde jedoch darin, dass er den Schlüssel dem SupGaleano übergeben habe, der ihn just in diesem Moment vor der Kinderbande fallen ließ. Ja, es würde ihn sehr beschämen, dem SubMoy gestehen zu müssen, er hätte den Schlüssel im Stadion verloren – na gut, auf der Weide. Die Bande von Defensa Zapatista jedoch hätte ihn unterstützt und so hätten sie ihn wieder gefunden: »Und hier ist er, der Schlüssel, SubMoy. Erzähl‘ mir doch, wie es auf dem Film-Festival war.«
Als der SubMoy bemerkte, dass von der Schachtel mit Donuts lediglich der Karton übriggeblieben war, kam gerade der SupGaleano an, um ihn zu informieren, im kleinen See innerhalb des Puy (*17) sei ein großer Wal gesichtet worden, auf dessen Kinnbacke ein Stück Rgenbogenfarbener Donut klebe. Dies zeige an, erkannte der SupGaleano intuitiv, es handele sich weder um einen weiblichen noch männlichen Wal sondern um eine*n Ballenoa, ein*e Wal*in. Unsere Pflicht als Zapatistas sei es, Schutz und Unterstützung zu geben, denn die Differenz dürfe weder verfolgt noch bestraft sondern müsse gefeiert werden, beispielsweise mit einem Tanz. Und welch ein Zufall! Der SupGaleano hatte jüngst die Musik-Kommission selbstkritisiert, denn die Compañeros Musiker spielten lediglich La Yaquecita, und es reicht jetzt damit (vorherige Nacht haben sie es 53 mal gespielt) und mit dem ewigen »und so, unD so, und so …« (Beim vorletzten Tanz wurde es 32 mal aufgeführt). Die Musik-Kommission gab zur Antwort: »Wir werden mal sehen. « Die musikalischen Compañeros starten jetzt aber voll durch mit der Cumbia del Sapito, der Kleinen Kröte. Denn wie alle wissen, ist die Kröte eine Cousine des Wals. Über die Lautsprecher wird nun die Tanzerei angekündigt und die Leute bis hin zu den Tercios, Tercias Compas laufen dorthin und lassen die Fußball-Teams verwaist zurück. Sie bringen den SubMoy zum Tanz …
Und es bleiben lediglich der SupGaleano und der Gato-Perro allein zurück. Dieser bellt und miaut ihn an, daraufhin sagt der Sup: »Ich wusste, du wirst es bemerken.« Und beim Absetzten der Kappe spricht er: »Abrakadabra« und zaubert einen neuen Schokoladen-Donut hervor: der letzte Donut der Berge des Südosten Mexikos. Da die Schokolade geschmolzen war und damit der ganze Kopf verklebt ist, denkt der Sup darüber nach, wie er die Pasamontañas wieder sauber bekommt.
Und während er mit dem Gato-Perro den Donut teilt, erzählt er ihm eine wundervoll-schreckliche Geschichte von einem Mädchen, das sich Calamidad Zapatista – Zapatistischer Unglücksrabe nennt – und die zum Unglück der beiden in diesem Augenblick in der Champa mit dem Ton-Mischpult der Tercios Compas (*18) auftaucht. Sie sagt nur: »Spielen wir?« – während sie sich dem See zuwendet, um die Anlage ins Wasser zu werfen – dort wo einige Ballenoas, Wal*innen glücklich hoch springen, weil sie wahrgenommen werden.
Und ja, auf jeden Fall, mussten der Gato-Perro und der SupGaleano den Donut mit Calamidad teilen. So hielten sie sie auf, jedoch nur einen Moment lang, denn Calamidad hatte bereits das Popcorn des SupGaleano gefunden. Mit Zucker verklebten Wangen gibt sie fröhlich kund: Lasst uns Palomitas spielen!
Tan-tan.
Aus den Bergen des Südosten Mexikos.
Der SupGaleano.
Merkend, dass es ist nicht möglich ist, die Pasamontañas mit Spucke zu säubern,
löst er das Problem, indem er sich einen Cowboyhut aufsetzt.
Hübsch ist der Kerl. Ja, jedem das Seine. Ajúa!
2019–2021.
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*Anmerkungen der_die Übersetzer_in:
(1) Denkt an Calamity Jane. Calamidad kann auch heißen: Ärgernis, Pechvogel, Unglück, Kalamität.
(2) tseltal: »Meeresschnecke unseres Lebens«
(3) spoiler: etwas für social-network-freaks
(4) »die Galoschen«
(5) im Original steht »grande: im Mexikanischen kann dass groß, kräftig aber auch alt bedeuten: »una persona grande« kann ein alter Mensch sein, groß an Erfahrung.
(6) »pato« kann auch Trampel bedeuten
(7) Gato-Perro: listiges »Mischwesen«; taucht seit 2014 in den Geschichten des Sup auf
(8) Defensa Zapatista: wörtlich übersetzt: »Zapatistische Verteidigung«
(9) US-amerikanischer Trash-Katastrophen-Film von 2013.
(10) riesiges Seeungeheuer der populären skandinavischen Legenden
(11) Die Subs sind: Subcomandante Insurgente Moisés: Sprecher der EZLN und militärische Leitung ihrer Selbstverteidigungsstrukur der Insurgentas, und Subcomandante Insurgente Galeano. Das CCRI ist die kollektive oberste politische Leitung der EZLN; eine politische Struktur, die nach dem Aufstand vom 1.1.1994 geschaffen und gewählt wurde, um öffentlich die Pueblos zu repräsentieren. Seine Mitglieder sind die Comandantes und Comandantas, denen die Subcomandantes unterstehen, deshalb heißen sie Sub …
(12) Ixmucané: Maya-Muttergöttin; laut dem Popol Vuh der Pueblos Kʼicheʼ schuf sie die Menschen aus Mais.
(13) Taube: Paloma; Popcorn: Palomitas
(14) So nennt sich auch ein Kinder-Computer-Spiel.
(15) wörtlich übersetzt: »Sitten und Gebräuche«.
(16) Anime: Hand- und Computer-generierte Animationsbilder, ursprünglich aus Japan; Stadtmauer: wohl eine Anspielung auf die chinesische Mauer
(17) in tseltal für Caracol (Meeresschnecke)
(18) zapatistische Medien-Kollektive