Aus dem Anderen Europa. Einzelpersonen, Gruppen, Kollektive, Organisationen und Bewegungen Europas – in Zusammenarbeit mit dem Geschwader 421. Juni 2021.
PostScript.- Hier ist das Lied von León Gieco – mit dem Titel: »An Land gehen«. Ich habe es seit Jahren in der »Mappe des Noch-Ausstehenden« herumgetragen – und mich gefragt, wann und in welches Video es einzusetzen sein wird. Letztendlich dachte ich, ich werde es schon wissen, wenn seine Zeit gekommen ist.
Den Moment vor Augen – an dem Marijose ihren-seinen Fuß auf galizischen Boden setzt – habe ich nicht an das Lied gedacht sondern an die unsichtbare Verbindung, die Musik und Bukanier-Stiefel verknüpft (1) – einen Seeräuber-Stiefel, der einen Maya-gebürtigen Fuß umschließt und der iberisches Land betritt.
Ich forschte nach und fand heraus, das Lied wurde 2011 als gleichnamige CD veröffentlicht. Das sind 10 Jahre … oder mehr. Wann kam Léon Gieco das Lied-Komponieren in den Sinn – ihm, dem unwillentlichen Bruder oder Bruder unter Protest, so wie es Juan Villoro ist? Dieses Lied, das einen Teil der großen Umarmung darstellt, die Lateinamerika bedeutet. Vor Monaten erst – oder bereits Jahre zuvor?
Hat León von dem geträumt, wovon der Lied-Text spricht?
Ist es derselbe Traum, den Marijose während der brennenden Umarmung im April träumte – damals als gesagt wurde, sie-er würde die-der Erste sein, die-der an Land gehen wird? Derselbe Traum, den der verstorbene SupMarcos erträumte – als er Jahre vor dem Aufstand [die Erzählung] »Matrose in den Bergen« schrieb? Derselbe Traum, der Don Durito de La Lacandona (2) wach hielt – als er seine Reise durch Europa imaginierte (oder realisierte; niemals werden wir es wissen)? Wovon Comandanta Ramona träumte, die als Erste zapatistisches Gebiet verließ und aus deren Schritten der Congreso Nacional Indígena erwuchs (3)? Der Traum, der dem damaligen Teniente Coronel Insurgente Moisés kam, als er 2010 – am Rande einer Holzhütte in den Bergen des Südosten Mexikos – den Grad eines Subcomandante erhielt? Wovon der Señor Ik, der SubPedro (4) und weitere 45 Zapatistas geträumt haben – noch Augenblicke bevor sie im Januar 1994 kämpfend fielen? Der Traum, den der Pueblo originario (5) Sami im äußersten Norden Europas kollektiv träumt – mit der Erklärung für das Leben [im Kopf]? Wurde er vor mehr als 500 Jahren von Gonzalo Guerrero (6) geträumt – als er Weg und Bestimmung der Maya-Pueblos zu seinen eigenen machte? Beunruhigte dieser Traum Jacinto Canek (7)?
Macht er die Tode von Comandante Ismael, Paulina Fernández C., Oscar Chávez, Jaime Montejo, Jean Robert, Paul Leduc, Vicente Rojo, Mario Molina, Ernesto Cardenal (8) und von so vielen Familienangehörigen – Geschwistern ohne es zu wissen – erträglicher, die wir in den letzten Monaten verloren haben?
Der Traum, der dem Europa von unten – welches diesen fürchterlich-wundervollen Empfang in Vigo organisierte – Zuversicht gab?
Der Traum, der nun die Straßen, Stadtteile, das Land und die Küsten Europas durchläuft – dabei den Satz wiederholend: »Es wird regnen in Paris – im Juli.«
Ist es der Traum, der die Stimmen der repräsentativen Spiegel am Strand von Vigo belebte (9) – die den Atlantik überquert haben und jetzt in den zapatistischen Gemeinden wohnen?
Denn das Geschwader 421 kommt nicht von einem Schiff, sondern von der »Montaña« – von einem Berg geht es »ohne Waffen und für das Leben« an Land.
Ist dies das Menschliche, das Humane – welches den langen und verborgenen Faden sticken lässt, der die verschiedenen und entfernten Geografien eint – und nahe und abgelegene Kalender verknüpft?
Ich weiß es nicht. Dies jedoch ja: Ich würde denjenigen, deren Fluch die Künste bilden, empfehlen: Stellen Sie ihren Traum dar. Welcher auch immer es sein mag. Er sollte jedoch der Ihre sein.
Denn niemals ist es gewiss, wann und wo ein anderer Blick, ein anderes Gehör, andere Hände und ein andere Schritt – ein anderes Herz in einem anderen Kalender und in einer anderer Geografie – jenen Traum vom langen Regal der Träume herabnehmen wird – sein Inneres öffnen und als Samenkorn in diese elende Wirklichkeit aussäen wird.
Beglaubigt.
Der SupGaleano.
Juni 2021.
Anmerkungen der_die Übersetzer_in:
(1) bucanero: kann auch Seeräuber bedeuten
(2) Don Durito de La Lacandona: Käfer und Fahrender Ritter, der den Sup bereits seit seinen frühen Erzählungen literarisch begleitet.
(3) Comandanta Ramona (1957-2006) hat zusammen mit der Comandanta Susana 1993 die Revolutionären Frauen-Gesetze der EZLN durchgesetzt. Sie verließ als erste Zapatista 1996 zapatistisches Gebiet, um nach Mexiko Stadt zu gehen und u.a. an der Gründung des Congreso Nacional Indígena (CNI) teilzunehmen. Von daher rührt: »Niemals mehr ein Mexiko ohne uns«.
(4) Señor Ik: Kampfname von Francisco Gómez, Tseltale; führendes Mitglied der EZLN seit ihren Anfängen; während der Kämpfe in Ocosingo in den ersten Januartagen getötet; SubPedro: Subcomandante Insurgente Pedro: seit 1984 Mitglied der EZLN, wurde am 1. Januar 1994 während der Kämpfe in Las Margaritas erschossen.
(5) Pueblos originarios: verbleibt im Original, da es eine Selbstbezeichnung ist. Wörtlich übersetzt: »ursprüngliche/originäre Bevölkerung/Gemeinschaften/Völker«.
(6) Gonzalo Guerrero, aus Palo de Frontera in Andalusien stammender Seemann; wurde 1511 von Mayas gefangen genommen. Nach seiner Befreiung kämpfte er an der Seite der Maya-Pueblos.
(7) Jacinto Canek, Maya-Revolutionär, kämpfte im 18. Jahrhundert innerhalb der Aufstände gegen die spanischen Konquistadoren in Yucatán; eine der wichtigen Personen innerhalb der langen Widerstandsgeschichte der Pueblos Maya.
(8) Comandante Ismael: Mitglied der EZLN; zu den anderen Genannten – hier nur sehr verknappt: Zapatista-nahe Compañer@s Intellektuelle, Künstler*innen und soziale Kämpfer*innen.
(9) Damit gemeint sind die Beiträge der Compañer@s aus dem Anderen Europa, die – bei der Begrüßung des zapatistischen Geschwaders 421 am Strand in der Nähe von Vigo – verschiedene Widerstände repräsentiert haben.
Hier geht’s zu den Videos. Die entsprechenden Transkriptionen im Folgenden:
Video 1: Die ersten Schritte.
Video 2: Spiegel – Transkription und Übersetzung
Stimme aus dem Off: Die Zeremonie der Spiegel. Wir wollten als Willkommen die Compañer@s des Geschwaders 421 empfangen – bei ihrer Ankunft, Übernahme und Reconquista des europäischen Kontinents, beim Betreten des Lands im Hafen (…) von Vigo: Mit der Widerspiegelung der Samenkörner, die die vielen Jahre zapatistischer Rebellion in unseren Herzen und Kämpfen wurzeln, anwachsen ließen.
Deshalb hat die Compañera, die vom Schiff stieg – begleitet von ihrer Sprache und Farbe – als Begleitung auch jeweils eine Compañera aus Europa und aus Galizien … Um Marijose in ihrem Ruf und ihrer Freiheitserklärung zu begleiten und um jeden unserer Kämpfe zu erklären – wie ein Spiel aus Spiegelung und Widerspiegelung – wie eine Metapher der Welt, die wir schaffen wollen. Vor allem als unseren Empfang des Beispiels und des Kampfes der zapatistischen Bewegung
Galizische Compañera: Willkommen. Ich bin (…) Aktivistin und Mitglied derjenigen, die hier einen Wald (…) verteidigen (…) Wir befinden uns hier im Widerstand gegen den Kohleabbau und gegen das kapitalistische rassistische patriarchale System. Alle, die wir hier sind, nehmen immer an den Solidaritätsdemonstrationen teil. Hallo, ich bin Laura, ich bin Trans-Aktivistin, trans-feministische Aktivistin. Wir kämpfen für die Rechte aller Marginalisierten.
Katalanische Compañera – spricht in katalanisch. Eine Compañera übersetzt: … sie kommt aus Katalonien und kämpft für die Pueblos und Kulturen, die unterdrückt werden. … der Kampf für Land- und Lebensmittel-Souveränität und auch für den Feminismus.
Galizische Compañera: Willkommen, ich bin Andrea (spricht in galizisch). Wir sind ein kostenloses linguistisches Projekt (…) für die Lehre in Verteidigung unserer Sprache und Kultur, die die galizische ist (…) Eine Compañera übersetzt: Sie heißt Andrea und kämpft für die galizische Sprache, in Verteidigung der galizischen Kultur, die bedroht ist durch die Eingriffe des Spanischen.
Kleines Mädchen spricht in baskisch. Baskische Compañera: Ongi Etorri. Herzlich willkommen. Wir sind Irati und Elena. Wir sind da, um euch zu begrüßen und für eine Welt zu kämpfen, wo alle Frauen, Männer, AnderE – jeglichen Alters einschließlich der ganz Kleinen – hinein passen. Eskerrik asko. Danke.
Ich heiße Rebecca und ich kämpfe sehr, dass es keine Verschwunden gemachten in Mexiko und auf der ganzen Welt – in keinem ihrer Winkel – mehr geben wird. Herzlich willkommen.
Ich bin Leonor und ich kämpfe für die Verschwunden gemachten in Mexiko.
Compañero spricht griechisch, ein anderer Compañero übersetzt: Er ist (…) er ist Grieche. Herzlich willkommen, um uns aufzuwecken für eine gleichberechtigte, solidarische und würdige Gesellschaft (…) Hola, herzlich Willkommen dem Geschwader 421 (…) wir möchten willkommen heißen, mit euch gemeinsam zu kämpfen für eine Welt ohne Grenzen, wo die Freude und Rebellion zu einer besseren Welt führt.
(…) für die Trans- und FLINTA*-Personen. Hallo, ich bin André, ich bin Trans-Mann, ich kämpfe für Trans- und FLINTA*-Personen.
Ich bin Ulli vom Ya Basta Netz Deutschland. Wir sind ein Netz der Solidarität und der Rebellion. Wir knüpfen Netze, Netze der würdigen Wut; feministische, antifaschistische, antikapitalistische Netze; rebellisch und solidarisch. 500 Jahre sind genug. Es reicht. Willkommen in Europa.
Willkommen. Ich bin Laria, ich komme aus Italien, und ich teile mit Compañeras und Compañeros den trans-feministischen Kampf gegen Patriarchat und sexistische Gewalt.
Ich bin im Kampf für die Verteidigung unseres Landes. In diesem Moment ist Galizien durch Windkraftanlagen bedroht (…) sie möchten unsere Berge und den Wind rauben (…) Ich bin Belen, kämpfe, um unser Land zu verteidigen (…) die Energie-Unternehmen(?) (…) möchten in Galizien mit den Windparks unsere Winde und Berge rauben.
Video 3: Beiträge – Transkription und Übersetzung
Kapitän Ludwig: Es gibt nicht viel zu sagen. Wir waren 50 Tage zusammen auf dem Schiff. Und zum Glück sind wir hier angekommen. Wir übergeben euch hier die Compas Zapatistas. Die Vorräte auf dem Schiff sind alle und es gibt kein Essen mehr. Und alle sind glücklich. Für uns hat jetzt eine Reise geendet, und hier beginnt jetzt eine neue Reise. Wacht auf, wacht auf – alle, die nicht hier sind!
Carl, Mitglied der Schiffsbesatzung: Ich bin sehr froh, hier angekommen zu sein, mit allen zusammen. Das Einzige, was ich sagen will: Nach dieser Reise werde ich wenig weinen, denn sie sind echt gute Leute.
Marijose: Im Namen der zapatistischen Frauen, Kinder, Männer, Alten und, na klar, AnderEn, erkläre ich, dass der Name dieses Landes – welches seine Bewohner*innen jetzt Europa nennen – von nun an Slumil K´ajxemk´op sein wird. Das bedeutet: Rebellisches Land oder Land, das nicht aufgibt und nicht nachlässt. Derart wird es bekannt sein – unter »Eigenen und Fremden« – solange es Eine*n gibt , die*der sich nicht ergibt, sich nicht verkauft und nicht nachlässt.
Yuli: Ich bin Yuli … Danke … Meine Sprache ist spanisch. Ich bin auf Tojolabal-Land geboren, aber ich habe tojolabal nicht gelernt. Jetzt lebe ich auf Tseltal-Land, Land unserer Pueblos Tseltales, und jetzt werde ich ein wenig tseltal lernen. Und ich bin sehr froh und glücklich, dass meine Pueblos mich ernannt haben, zu kommen und diese Erfahrung zu teilen – und ich bin hundert Prozent Zapatista. Wir, die wir hier präsent sind, wir sind die erste Delegation. Danach werden jedoch noch viel mehr kommen. Danke.
Ximena spricht in ch’ol.
Carolina spricht in tsotsil.
Lupita spricht in tsotsil.
Bernal spricht in tojolabal.
Felipe spricht in tseltal.
Marijose: Mein Name ist Marijose … Danke … Ich komme aus der Tojolabal-Zone. Ich spreche jedoch kein tojolabal, sondern lediglich spanisch. Und ich bin sehr froh, hier zu sein, und ich bin hundert Prozent Zapatista. Und wir danken unseren Pueblos, die uns das Vertrauen gaben, uns losschickten, um diese Arbeit hier mit euch zu machen – und die euch bitten, uns zu erlauben, euer Herz zu öffnen und die Tür zu diesem europäischen Kontinent. Um unsere Wut, unsere Schmerzen, unsere Modi, unsere Geografien und unsere Formen des Kampfes zu teilen – und auch die Modi von Widerstand und Rebellion mit einander zu teilen. Wir sind hier, um dem kapitalistischen System zu demonstrieren: Eine andere Welt ist möglich. Und: Niemals mehr eine Welt ohne uns Frauen, Männer und AnderE. Danke.
Video 4: Marijose. * Transkription und Übersetzung:
»Im Namen der zapatistischen Frauen, Kinder, Männer, Alten und, na klar, AnderEn, erkläre ich, dass der Name dieses Landes – welches seine Bewohner*innen jetzt Europa nennen – von nun an Slumil K´ajxemk´op sein wird. Das bedeutet: Rebellisches Land oder Land, das nicht aufgibt und nicht nachlässt. Derart wird es bekannt sein – unter »Eigenen und Fremden« – solange es Eine*n gibt , die*der sich nicht ergibt, sich nicht verkauft und nicht nachlässt.«
Video 5: An Land gehen.
»An Land gehen« von León Gieco; gesungen von León Gieco (Gesang, Mundharmonika), Jairo (Gesang, Djembe-Trommel), Silvina Moreno (Gesang), Sandra Corizzo (Gesang), Diego Boris (Mundharmonika), Antonio Druetta (Mandoline), Pablo Elizondo (Gitarre), Luciana Elizondo (Viola da Gamba). 2021.