April 2021. Die zapatistische maritime Delegation
Kalender? Eine Morgendämmerung im vierten Monat. Geographie? Die Berge des mexikanischen Südostens.
Eine plötzliche Stille wird den Grillen, dem verstreuten und entfernten Gebell der Hunde, dem Echo der Marimbaklänge auferlegt. Hier, in den Eingeweiden der Hügel ein Gemurmel, mehr als ein Schnarchen. Wenn wir nicht da wären wo wir sind, könnte man meinen, es handelt sich um das Rauschen des offenen Meeres. Nicht die Wellen, die an der Küste brechen, am Strand, an der Klippe, begrenzt von einem extravaganten Schmiss. Nein, es ist mehr. Und dann…..ein langes Stöhnen und ein Erzittern, zur Unzeit, kurz.
Der Berg erhebt sich. Krempelt verschämt den Rock ein wenig hoch. Nicht ohne Mühe reißt er seine Füße aus dem Boden. Macht den ersten Schritt, mit schmerzverzerrter Miene. Jetzt bluten ihm die Sohlen, diesem kleinen Berg, weit weg von den Landkarten, Touristenzielen und Katastrophen. Aber hier ist alles Komplizenschaft, sodass ein anachronistischer Regen ihm die Füße wäscht und mit Schlamm seine Wunden heilt.
„Pass gut auf dich auf Kind“, sagt der Mutterbaum Ceiba. „Nur Mut“, spricht der Huapác wie zu sich selbst. Der Vogel ‚Tapacamino‘ ist der Reiseleiter. „Nach Osten, immer nach Osten mein Freund“, sagt er und hüpft von einer Seite zur anderen.
Mit Bäumen, Vögeln und Steinen bekleidet wandert der Berg. Und auf seinem Weg heften sich verschlafene Männer, Frauen, jene, die weder der Eine noch die Andere sind, Mädchen und Buben an seine Rockfalten. Sie klettern auf die Bluse, krönen die Brustspitze, folgen den Schultern und ganz oben am Haarschopf wachen sie auf.
Die Sonne, die gerade am östlichen Horizont hervorlugt, hält ein wenig in ihrer täglichen hartnäckigen Runde an. Es schien ihr, als habe sie einen wandernden Berg gesehen der mit einer Menschenkrone versehenen war. Aber abgesehen von der Sonne und einigen grauen Wolken, welche die Nacht vergessen hatte, scheint hier niemand überrascht zu sein.
„An sich stand es so geschrieben“, sagt der Alte Antonio während er die zweischneidige Machete schärft und Doña Juanita nickt mit einem Seufzer.
Auf der Feuerstelle duftet es nach Kaffee und gekochtem Mais. Im freien Gemeinderadiosender erklingt eine Cumbia. Der Text handelt von einer unmöglichen Legende: ein Berg, der gegen den Strom der Geschichte segelt.
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Sieben Personen, sieben ZapatistInnen bilden die maritime Fraktion der Delegation, die Europa besuchen wird. Vier sind Frauen, zwei sind Männer und EineR AnderEr (unoa es otroa). 4,2,1. Das Geschwader 421 ist bereits im ‚Zapatistischen maritim-terrestrischen Schulungszentrum‘ einquartiert, es befindet sich im Saatbeet Comandanta Ramona in der Zone Tzotz Choj.
Es war nicht leicht. Es war vielmehr eine Tortur. Um zu diesem Kalender zu kommen, mussten wir Einwände, Ratschläge, Entmutigungen, Aufrufe zur Zurückhaltung und Vorsicht, offene Sabotagen, Lügen, schlechte Nachreden, detaillierte Aufzählungen der Schwierigkeiten, Klatsch und Unverschämtheiten und den bis zum Überdruss wiederholten Satz: ‚was ihr machen wollt ist sehr schwierig, um nicht zu sagen unmöglich‘ ertragen. Und ganz klar, sie sagten uns, befahlen uns, was wir machen und was wir lassen sollen. All das auf dieser und auf der anderen Seite des Ozeans.
Klar, all das ohne die Hindernisse der obersten Regierung und ihrer dummen, törichten und rassistischen Bürokratie zu zählen.
Aber das alles werde ich Ihnen bei anderer Gelegenheit erzählen. Jetzt muss ich Ihnen ein wenig über unsere brandneue zapatistische maritime Delegation erzählen.
Die vier Frauen, die zwei Männer, und der/die AnderEr (loa otroa) sind menschliche Wesen. Sie wurden dem Turing-Test unterzogen, mit einigen Modifikationen die ich für angebracht hielt, um auszuschließen, dass Einig@ Er von ihnen oder alle@ ein Cyber-Organismus seien, ein Roboter also, fähig, die Cumbia des Sapito mit falschem Schritt zu tanzen. Ergo, die 7 Wesen gehören zur menschlichen Rasse.
Die 7 wurden im Kontinent, den sie ‚Amerika‘ nennen geboren und die Tatsache, dass sie Schmerzen und Zorn mit anderen Originalvölkern dieser Seite des Ozeans teilen, macht sie zu LateinamerikanerInnen. Sie sind auch gebürtige MexikanerInnen, Nachkommen der Originalvölker der Maya, das belegen Familien, Nachbarn und Bekannte. Sie sind auch ZapatistInnen, sie besitzen Dokumente der autonomen Gemeinden und der Räte der Guten Regierung, welche das so verbürgen. Sie haben keine nachgewiesenen Delikte begangen, und die nicht zum entsprechenden Zeitpunkt bestraft wurden. Sie leben, arbeiten, werden krank, gesunden, lieben, verabscheuen, lachen, weinen, erinnern sich, vergessen, spielen, sind ernst, machen Aufzeichnungen, suchen Vorwände, zusammenfassend, sie leben in den Bergen des Südostens von Mexiko, in Chiapas, Mexiko, Lateinamerika, Amerika, Plante Erde etc.
Weiters meldeten sich die (l@s) 7 freiwillig für die Seereise – etwas, was nicht viel Begeisterung in der großen Vielfalt der ZapatistInnen jeglichen Alters auslöst. Das heißt, um es klar auszudrücken, niemand wollte mit dem Schiff reisen. Wie viel hat die Terrorkampagne, ausgelöst von Esperanza und der gesamten Bande der Defensa Zapatista, welche sich im berühmten Algorithmus ´alle werden jämmerlich sterben´ zusammenfassen lässt, dazu beigetragen? Ich weiß es nicht. Aber die Tatsache, alle sozialen Netzwerke, einschließlich whatsapp zu besiegen, noch dazu ohne technologischen Vorteil (noch mehr, ohne Handy-Signal am Land) veranlasste mich, auch mein Körnchen Sand vom Strand beizusteuern.
Daher – getrieben von meiner Sympathie für die Bande der Defensa Zapatista – bat ich den SubMoy um Erlaubnis, mit der Delegation sprechen zu dürfen, welche sich mit Rufen, Schreien und Kinderlachen auf die Invasion vorbereitete, die keine Invasion ist…..na gut, es ist schon eine, aber es ist etwas, sagen wir mal, konsensuelles. So etwas wie ein sado-masochistischer Internationalismus, der natürlich von der zur Avantgarde verwandelten Orthodoxie nicht goutiert wird. Die – wie es sich gehört – den Massen so weit voraus ist, dass sie nicht gesehen wird.
Ich erschien auf der Versammlung, setzte meine beste tragische Miene auf und erzählte ihnen schreckliche Dinge über die hohe See: das endlose Erbrechen („gómitos“), die monotone Weite des Horizonts, die Verpflegung fast ohne Mais, ohne Popcorn und – Schreck aller Schrecken! – ohne Valentina-Sauce, das wochenlange Zusammensein mit anderen Personen – mit denen du in den ersten Stunden Lächeln und Aufmerksamkeiten austauscht, aber kurz darauf Blicke, die töten – ich beschrieb auch mit allen Einzelheiten schreckliche Unwetter und unbekannte Bedrohungen. Ich verwies auf den Krakenund wegen einer dieser literarischen Referenzen erzählte ich von einem riesigen weißen Wal, der wütend jemand suchte, um das Bein auszureißen, was dem Opfer eine dezente Rolle in der langsamsten Cumbia rauben würde. Es war sinnlos. Und ich muss gestehen, nicht ohne verletzten Gender-Stolz, dass es meist Frauen waren die sagten: ‚mit dem Schiff‘, als ihnen die Möglichkeit geboten wurde, entweder per Schiff oder per Flugzeug zu reisen.
Daher meldeten sich nicht 7, nicht 10 nicht 15, sondern mehr als 20. Selbst die kleine dreijährige Veronika meldete sich an, als sie die Geschichte vom Mörderwal hörte. Ja, unverständlich. Aber wenn Sie sie kennenlernen werden (das Mädchen, nicht den Wal), dann werden Sie Mitleid empfinden. Will heißen, mit Moby Dick werden Sie Mitleid haben.
Warum also nur 7? Gut, ich kann Ihnen von den 7 Himmelsrichtungen erzählen (die Vorderseite, die Rückseite, die eine Seite, die andere Seite, die Mitte, das Oben und das Unten), von den 7 Göttern, den Ersten, die die Welt gebaren und so weiter. Aber die Wahrheit ist die, weit entfernt von Symbolen und Allegorien, dass die Anzahl darauf beruht, dass die Mehrzahl noch keinen Pass bekommen hat und immer noch darum kämpft. Davon werde ich Ihnen später erzählen.
Nun gut, Sie sind sicher nicht an diesen Problemen interessiert. Was Sie wissen wollen ist, wer auf „La Montaña“ dem ‚Der Berg‘ navigieren wird, den Ozean überqueren und in Europa einfallen wird….ähm, ich wollte sagen, Europa besuchen wird. Hier sind also die Fotos und ein sehr kurzes Profil.
Lupita. 19 Jahre. Gebürtige Mexikanerin. Tzotzil aus dem Hochland von Chiapas. Spricht ihre Muttersprache Tzotzil und kastilisch fließend. Kann lesen und schreiben. Sie war lokale Jugendkoordinatorin, regionale Jugendkoordinatorin und lokale Verwalterin der Kollektivarbeiten. Lieblingsmusik: Pop, romantische Musik, Cumbias, Balladen, Electronic, Rap, Hip Hop, Andenmusik, chinesische Musik, revolutionäre, klassische, Rock der 80er (so sagten sie), Mariachis, traditionelle Klänge ihres Volkes …. und Reggaeton (Anmerkung der Redaktion: wenn das nicht ´eine Welt ist, wo viele Welten Platz haben´, dann weiß ich nicht, was es sonst wäre. Ende der Anmerkung). Lieblingsfarben: Schwarz, Rot, Kirschrot und Kaffeebraun. Maritime Erfahrung: als Kind Reisen mit der Barkasse. Sie bereitete sich 6 Monate darauf vor, Delegierte zu werden. Freiwillige für die Schiffsreise nach Europa. Sie wird ihre Funktion als Tercia Compa auf der Überfahrt wahrnehmen
Carolina. 26 Jahre.. Gebürtige Mexikanerin. Ursprünglich Tzotzil aus dem Hochland von Chiapas, jetzt Tzeltal im lakandonischen Regenwald. Spricht ihre Muttersprache Tzotzil, außerdem Tzeltal und kastilisch fließend. Kann lesen und schreiben. Alleinerziehende Mutter einer sechsjährigen Tochter. Ihre Mutter hilft ihr bei der Betreuung des Mädchens. Sie war Koordinatorin bei ´wir Frauen, die wir sind´ und ist Veterinärkurs-Schülerin. Zur Zeit ist sie Comandanta in der zapatistischen politisch-organisatorischen Direktion. Lieblingsmusik: Pop, Romantik, Cumbias, Rock der 80er (so sagten sie), Bands und revolutionäre Musik. Lieblingsfarben: Créme, Schwarz, Kirschrot. Maritime Erfahrung: irgendwann mit der Barkasse. Sie bereitete sich 6 Monate darauf vor, Delegierte zu werden. Freiwillige für die Schiffsreise nach Europa.
Ximena. 25 Jahre. Gebürtige Mexikanerin. Cho´ol aus Nord-Chiapas. Spricht ihre Muttersprache Cho´ol und kastilisch fließend. Kann lesen und schreiben. Alleinerziehende Mutter einer sechsjährigen Tochter. Ihre Mutter hilft ihr bei der Betreuung des Mädchens. Sie war Jugend-Koordinatorin und ist zur Zeit Comandanta in der zapatistischen politisch-organisatorischen Direktion. Lieblingsmusik: Cumbias, Tropical, romantische, revolutionäre, Rock der 80er (so sagten sie), Elektronik und Rancheras. Lieblingsfarben: Violett, Schwarz, Rot. Maritime Erfahrung: irgendwann mit der Barkasse. Sie bereitete sich 6 Monate darauf vor, Delegierte zu werden. Freiwillige für die Schiffsreise nach Europa. Stellvertreterin von Dario der maritimen Delegation.
Yuli. 37 Jahre. Sie wird im Mai 38, auf hoher See. Ursprüngliche Tojolobal aus der Regenwald-Grenzzone, jetzt Tzeltal im lakandonischen Regenwald. Spricht fließend kastilisch. Kann lesen und schreiben. Mutter von zwei Kindern: ein 12-jähriges Mädchen, ein 6-jähriger Bub. Ihr Compañero unterstützt sie mit den Kindern. Der Compa ist Tzeltal, das heißt, sie lieben sich und streiten und lieben sich wieder auf Spanisch. Sie war Bildungs-Promotorin, Trainerin für Ausbildung (dient zur Vorbereitung der Bildungs-PromotorInnen) und Koordinatorin des lokalen Kollektivs. Lieblingsmusik: romantische Musik, Bands, Cumbia, Vallenato, revolutionäre, Tropical, Pop, Marimba, Rancheras und Rock der 80er (so sagten sie). Lieblingsfarben: Schwarz, Kaffeebraun und Rot. Maritime Erfahrung: keine. Sie bereitete sich 6 Monate darauf vor, Delegierte zu werden. Freiwillige für die Schiffsreise nach Europa
Bernal. 57 Jahre.. Tojolabal aus der Regenwald-Grenzzone. Spricht seine Muttersprache, Tojolabal und kastilisch fließend. Kann lesen und schreiben. Vater von 11 Kindern, der älteste ist 30 Jahre alt, die jüngste 6. Seine Familie unterstützt ihn, sie betreuen die Kinder. Er war Miliciano, Lokalverantwortlicher, Maestro der Kleinen Zapatistischen Schule und Mitglied des Rats der Guten Regierung. Lieblingsmusik: Ranchera, Cumbias, Huichol-Musical, Marimba und revolutionäre. Lieblingsfarben: Blau, Schwarz, Grau und Kaffeebraun. Maritime Erfahrung: Kanu und Barkasse. Er bereitete sich 6 Monate darauf vor, Delegierter zu werden. Freiwilliger für die Schiffsreise nach Europa
Darío. 47 Jahre. Cho´ol aus Nord-Chiapas. Sprich seine Muttersprache Cho´ol und kastilisch fließend. Kann lesen und schreiben. Vater von 3 Kindern, ein 22-jähriger Sohn, ein 9-jähriger Sohn und ein 3-jähriges Mädchen. Das Mädchen und der Bub werden im Juli mit ihrer Mutter mit dem Flugzeug nach Europa reisen. Er war miliciano, Lokalverantwortlicher, Regionalverantwortlicher und zur Zeit ist er Comandante in der zapatistischen politisch-organisatorischen Direktion. Lieblingsmusik: Rancheras von Bertin und Lalo, Tropical, Marimba, regionale Musik und revolutionäre. Lieblingsfarben: Schwarz und Grau. Maritime Erfahrung: Kanu. Er bereitete sich 6 Monate darauf vor, Delegierter zu werden. Freiwilliger für die Schiffsreise nach Europa. Er wird der Koordinator der maritimen zapatistischen Delegation sein.
Marijose. 39 Jahre. Tojolabal aus der Regenwald-Grenzzone. Spricht fließend kastilisch. Kann lesen und schreiben War milicianoa, Gesundheits-Promotoroa, Bildungs-Promotoroa und Formadoroa für Ausbildung, Lieblingsmusik: Cumbias, romantische, Rancheras, Pop, Elektronik, Rock der 80er (so sagten sie), Marimba und revolutionäre. Lieblingsfarben: Schwarz, Blau und Rot. Maritime Erfahrung: Kanu und Barkasse. Bereitete sich 6 Monate darauf vor, DelegierteR (delegadoa). zu werden. FreiwilligeR (Voluntarioa) für die Schiffsreise nach Europa. Wurde nominiert, als ErsteR ZapatistIn (loa primeroa) an Land zu gehen und mit ihr/ihm (elloa) beginnt die Invasion….ok, der Besuch Europas.
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Das heißt, der erste Fußabdruck auf europäischem Boden (klar, wenn sie uns landen lassen) wird weder der eines Mann noch einer Frau sein. Es wird der eineSr AndereNr (unoa otroa) sein.
In dem was der dahingeschiedene SupMarcos als ´Ohrfeige mit schwarzem Strumpf für die gesamte heteropatriarchale Linke´ bezeichnet hätte, wurde beschlossen, dass die erste Person, die von Bord geht, Marijose sein wird.
Sobald die beiden Beine auf europäischem Territorium stehen und sich die Seekrankheit gelegt hat wird Marijoseausrufen:
“¡Ergebt Euch Ihr hetero-patriarchalen Bleichgesichter, die Ihr das Unterschiedliche verfolgt!”
Nah, das ist ein Scherz. Aber ganz ehrlich, wäre es nicht supercool, so etwas zu sagen?
Nein, nach dem Betreten des Festlandes, wird der/die (loa) Compa zapatista Marijose, mit feierlicher Stimme sprechen:
“Im Namen der zapatistischen Frauen, Kinder, Männer, Alten und natürlich AnderEr ,(otroas) erkläre ich, dass der Name dieses Bodens, den seine Eingeborenen jetzt ´Europa´ nennen, fortan SLUMIL K´AJXEMK´OP, das heißt “widerspenstiges Land”, oder “Land das nicht aufgibt und nicht verzagt” genannt werden wird. Und so wird es den Einheimischen und Fremden bekannt sein, solange es hier jemand gibt, der nicht aufgibt, sich nicht verkauft und nicht kapituliert”.
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Ich bezeuge es
SupGaleano.
April 2021.
(Fortsetzung folgt…)